Reise in die Innere auf verschlungenen Pfaden

Thomas Vogel: Die letzte Geschichte des Miguel Torres da Silva. Klöpfer & Meyer [2001] 2012 Tübingen

Ich las zwei Bücher parallel, was bei mir gewöhnlich ist, „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ von Haruki Murakami und „Die letzte Geschichte des Miguel Torres da Silva“ von Thomas Vogel. Das erste war voller Spannung, während das andere voller Lebensweisheiten. So ist „Südlich der Grenze…“ für mich momentan eine Geschichte der sinnigen und sinnlichen Fragen, und das andere Buch, das ich jetzt näher vorstellen möchte, die der enigmatischen Antworten. Über beide kann ich jetzt noch lange nachdenken. „Die letzte Geschichte des Miguel Torres da Silva“ spielt in Portugal in der Mitte des 18. Jahrhunderts und ist ein ruhiges, weises Buch über die heilende Kraft des Geschichtenerzählens. Manuel Torres Da Silva studiert in Coimbra, Portugal. Er hat von seinem Großvater, einem bewunderten Geschichtenerzähler, eine Lehre geerbt:

„Bevor du die Welt erfindest, sagte Miguel Torres da Silva, erfinde neu dein Land. Bevor du dein Land neu erfindest, erfinde neu deine Stadt. Bevor du deine Stadt erfindest, erfinde neu dein Haus. Doch bevor du dein Haus neu erfindest, verlasse es und mach dich auf den Weg.“

Ein meditatives Buch

Nach dem Tod seines Großvaters sucht Manuel die Gründe, warum dieser so plötzlich, ohne die letzte Geschichte zu Ende zu erzählen, von der Bühne des Lebens abgetreten ist. Darüber hinaus möchte Manuel verstehen, wie er seiner Erbe entsprechen und die Geschichten seines Großvaters in Erinnerung halten und aufschreiben könnte, und wie er seine eigene Geschichte findet. Er fängt deshalb an, wie sein Großvater das wollte, Arithmetik zu studieren, also etwas, was ganz ähnlich ist wie Geschichtenerzählen.

Denn die Mathematik ist die „Sprache, die aus Zahlen besteht, und aus Linien, die sich zu Kreisen, Dreiecken, zu Pyramiden und Würfeln fügen. Ohne diese Sprache irren wir hilflos durch ein dunkles Labyrinth“ S. 19, wie sein Professor, Ribeiro erklärt.

Die Zahlen werden zu seinem Wegweiser, weshalb er seinen Kalander nach den Fibonacci Zahlen zu führen, somit durch seine Geschichte eine Fibonacci-Spirale zu ziehen beginnt. Das Buch wird auch dementsprechend gegliedert: die erste Episode (1. Tag: Der Aufbruch) erzählt, wie er sein Zuhause verlassen hat, und die letzte (Der 377. Tag: Die Ankunft), wie er das Ende der letzten Geschichte seines Großvaters verstanden hat, und wie er seine Geschichte gefunden hat.

Manuel studiert, lebt, verliebt sich und unternimmt eine Reise nach seinem Inneren und gleichzeitig in die Welt, ohne Portugal tatsächlich zu verlassen. Denn die Sprache der Zahlen und die Leidenschaft für Geschichten, Zuhören oder Erzählen, führen ihn zeitlich sogar zu den Griechen (Pythagoras) und zu den Arabern des Mittelalters. Spannend, oder?

Wie die Mathematik geheimnisvoll, spielerisch und welterklärend sein kann, so auch das Erzählen. Geschichten können nämlich wahr sein und zugleich etwas Unmögliches behaupten. Wie Ribeiro besagt:

„So wie die Spinne dort nach streng mathematischen Regeln ihr Netz webt, so stricken wir unsere Träume, weben sie ein in Geschichten, die alten Gesetzen gehorchen, die uns in vielem verborgen bleiben.“ S. 119.

In diesem Buch fand ich, schön in Geschichten eingepackt, viele Weisheiten, die mich dann ganz beeindruckt haben. Einige konnte ich noch immer nicht endgültig entziffern, wie zum Beispiel:

„Und wer sich nicht in den rätselhaften Irrgarten der Mathematik begibt, ist nicht wirklich an Lösungen interessiert. Wer nicht gewillt ist, sich zu verlieren, verliert. Doch wer dazu bereit ist, zu dem gesellt sich die Neugierde als wundersame Weggefährtin, die lehrt, zu akzeptieren, was wiederum die Voraussetzung jeder Lösung ist.“ S 99.

6 Kommentare Gib deinen ab

  1. Klingt wirklich spannend!

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    1. Veronika sagt:

      Das freut mich, weil ich das Buch sehr gern habe.

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  2. TeteGina sagt:

    Das letzte Zitat ist sehr beeindruckend. Liebe Grüße Tete

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    1. Veronika sagt:

      Lieben Dank! Es sind ja Sätze, die mich seit Jahren immer wieder zum Nachdenken bringen.

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      1. TeteGina sagt:

        So geht es mir auch… LG Tete

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    2. Veronika sagt:

      Liebe Grüße, Tete!

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